Home Office im Lockdown für Führungskräfte und Kapitän*innen.

„Der gute Kapitän bewährt sich in stürmischen Zeiten“ lautet ein griechisches Sprichwort, das mir oft in den Sinn kommt. Auch wir befinden uns in bewegten Zeiten – unsere Lebens- und Arbeitswelten stehen Kopf. Viele Herausforderungen und Sorgen fordern uns, und es liegt insbesondere an den Führungskräften, diese Klippen mit ihren Mannschaften zu umschiffen. Es scheint, dass gegenwärtig viele gute Kapitän*innen unterwegs sind, denn wir hören, dass viele Teams sich in die Arbeit gestürzt haben, sehr viel gelernt und Neues entwickelt haben und richtig nah zusammengerückt sind.

Zwei Seiten einer Medaille

In den Medien wird nun das „Home-Office“ recht vorbehaltlos als ein Allheilmittel propagiert. Aus der Politik gibt es sogar Stimmen, dieses gesetzlich zu verankern. Dabei wird kaum über die Herausforderungen, die das Home- bzw. Remote-Office für die Führungskräfte darstellen, gesprochen. (Das gilt besonders für die Führungskräfte, die bisher keine Erfahrung mit remote Führung sammeln konnten.) Die bereits anspruchsvolle Führungsaufgabe wird nun durch den Wegfall persönlicher Begegnungen und bewährter Führungsinstrumente, wie persönlicher Feedback- und Beurteilungsgespräche, Team- und Projektmeetings, weniger fassbar.

Das liegt daran, dass der emotionale Kitt, der uns Menschen in der Berufswelt zusammenhält, entfällt, wenn wir uns nicht begegnen. Für die zwischenmenschlichen „chemischen“ Interaktionen, die Freude, Vertrauen, Dankbarkeit und Motivation auslösen, gibt es keine virtuellen Surrogate. Ja, tatsächlich gibt es neue Potentiale in der virtuellen Kollaboration, aber wer wird es schaffen, diese zu nutzen? Welche virtuellen Talente bzw. virtuellen Soft-Skills werden dafür benötigt? Diese zu finden und sich anzueignen ist sowohl für Führungskräfte als auch insbesondere für Mitarbeiter*innen, die an ihrer Karriere arbeiten möchten, zukunftssichernd. Das gilt ganz besonders für Branchen und Unternehmen, die auch nach der Pandemie die Rolle (und Fläche) der Büroräume reduzieren und vermehrt auf die „remote work“ Variante setzen werden.

Können jedoch persönliche Gespräche, Konfliktmoderationen, Steuerung der Arbeitsprozesse und Optimierungen der Rahmenbedingungen im Unternehmen einfach wegfallen? Bleibt denn dabei nicht einiges auf der Strecke? Wie können anders[?] Synergien in der Organisation genutzt und durch einen gemeinsamen Austausch und Lernen Innovationen entstehen? Innovationen sind nun aber der Treibstoff für unternehmerisches Fortkommen, gar Überleben.

Leadership in der Krise

Aufforderungen, dass Führung nun einfach mit „mehr Vertrauen“ und mit einer „ergebnisorientierten“ Ausrichtung erfolgen soll, werden der komplexen Führungsaufgabe nun auch nicht gerecht. Als ob Vertrauen nicht schon vorher unabdingbare Voraussetzung für gute Zusammenarbeit gewesen wäre. Und welches Unternehmen konnte es sich leisten, ohne Ergebnisorientierung zu handeln? Die Diskussion um das Menschenbild X und Y von Douglas McGregor ist auch schon ein paar Jahrzehnte alt.

Und das jeweilige Menschenbild war gleichzeitig ein Lackmustest, der zeigte, ob Führungskräfte ihre*n Mitarbeiter*innen mit vollem Vertrauen und Zuversicht Home-Office erlaubten. Haben jetzt alle Führungskräfte, die bisher vom Menschenbild X gelenkt waren und im Home-Office den Vormarsch der Faulenzerei vermuteten, dieses Menschenbild geändert, womöglich nachhaltig? Einfach so durch die erzwungene Realität?

Ein anderer Glaubenssatz war wiederum in progressiven Unternehmen der Grund, warum Home-Office verpönt war: Der feste Glaube an Synergien an der Kaffeetheke. Und der Glaube an Teamarbeit und agile Arbeitsweise, welche eine sehr hohe Kommunikationsfähigkeit und Transparenz voraussetzen, gepaart mit der Bereitschaft, Wissen und Feedback kontinuierlich zu teilen. Das Fundament dafür bildet das Vertrauen. Vertrauen sowohl in die Kolleg*innen als auch ganz besonders in das Management. Die Qualität des persönlich geschaffenen Vertrauens wird gegenüber dem virtuell geschaffenen Vertrauen ungleich höher eingeschätzt.

Ein weiterer, weniger beachteter Aspekt in der aktuellen Diskussion zum Home-Office betrifft das Wesen von Führungskräften. Es gibt traditionell noch eine Reihe von Führungskräften, die entweder in diese Rolle befördert worden sind, weil sie fachlich herausragend waren oder weil es für sie die einzige Aufstiegsmöglichkeit gewesen ist. Diesen Führungskräften ist die persönliche Dimension der Führungsarbeit schon immer schwergefallen. Umso herausfordernder ist es für sie, den nun zusätzlichen Bedarf an persönlicher (d.h. virtueller) 1 zu 1 Interaktion mit ihren Mitarbeiter*innen zu bewerkstelligen. Bei diesen Führungskräften sind die Bedenken, dass das Home-Office das Mittelmaß befördert und die Produktivität (besonders montags und freitags), nachlässt auch am stärksten ausgeprägt. Wer vermag diese Bedenken zu widerlegen? Sicherlich gibt es mannigfaltige Gefahren auch des Scheiterns.

Auch unser Team hat sich verändert

Meine ganz persönliche Bilanz der letzten Monate und des erzwungenen „remote work“: Auch virtuell sind Brainstorming und Innovationen sehr wohl möglich – ich finde es nur sehr viel anstrengender – es macht mir richtig Mühe. Vor allem aber fehlt es mir, die tiefe Freude über die erreichten Ergebnisse mit den anderen im Team direkt oder persönlich teilen zu können.

Andererseits finde ich nun die regulären Team- und Arbeitsmeetings effizienter und angenehmer. Bemerkenswert finde ich die Zunahmen an Flexibilität in unser aller Verhalten: Wir alle nutzen auch innerhalb eines Tages mehrere Varianten des „Home-Remote-Offline“-Office, und hybride Meetings sind sehr viel selbstverständlicher geworden. Dadurch arbeiten wir vorbehaltloser zusammen – ob jemand nun im Synnous Office im Medienhafen oder im Café in Düsseldorf-Bilk, zuhause in Duisburg, Essen, Magdeburg oder Brooklyn am Meeting teilnimmt, spielt keine besondere Rolle – es gilt nur, smarte Uhrzeiten für jeden individuellen Bedarf zu wählen.

Früh morgens, ungeduscht in meinen Leggings und nur mit dem Kaffeebecher bewaffnet sofort an meinem Home-Office Laptop loslegen zu können, genieße auch ich sehr. Da kann ich super konzentriert und ungestört an anspruchsvolleren und langwierigeren Aufgaben und Konzepten arbeiten. Wenn ich danach ins Office fahre, bin ich deutlich entspannter und widme mich sehr gerne den Menschen in den virtuellen Meetings als auch den persönlichen Begegnungen.

Durch die neue virtuelle Zusammenarbeit sehe und spreche ich das Team deutlich öfter als vorher. Dadurch ist auch das Team deutlich gestärkt worden – sie sehen und sprechen sich ebenfalls täglich. Jedes Teammitglied hat sich aber auch in dieser Zeit ein Arbeitsfeld abstecken und für sich selbst beackern können, und ich stelle fest, dass jedes Teammitglied eine enorme persönliche Entwicklung absolviert hat.

Auf der anderen Seite stellte ich fest, dass ich in meiner Führung zunehmend nicht mehr den Fokus auf die einzelnen Personen im Team richtete, und das musste ich wieder ändern. Das bedeutet, bewusst Zeit einzuplanen, um öfter Einzelgespräche zu führen. Aber in welcher Form und Frequenz? Das alte Model des Mitarbeitergesprächs passte irgendwie nicht mehr. Und ich musste mich mit neuen Komponenten beschäftigen und mehr berücksichtigen als früher: Wo arbeitet der*die Mitarbeiter*in? In der Küche, im Wohnzimmer, am Tisch, auf dem Bett? Wer ist noch in der Wohnung? Wie heißen die Katzen, wer klingelt an der Tür, wie ist das Internet, wo ist Baulärm, Straßenlärm, Licht und Schatten? Was benötigt jede*r Einzelne von mir?

Und im Team musste auch Raum für die individuellen Sorgen geschaffen werden: Wie geht der*die Einzelne mit Sorgen und Ängsten rund um Corona um? Was braucht jede*r Einzelne, um sich im Büro sicher und wohl zu fühlen? Wie fühlt sich die Fahrt ins Büro an? Was macht die regionale Corona-Entwicklung? Welche Einschränkungen gibt es für jede*n und was macht jede*r damit? Welche Sorgen rund um Familie und Freunde gibt es? Wem fällt die Decke auf den Kopf? Wer braucht gerade eine Ration mehr Zuspruch und Motivation? Wer möchte wann ins Büro kommen?

Aus all diesen Erfahrungen haben wir den Begriff „Leadership Beyond Work“ geschaffen und uns für den zweiten Lockdown auch zusätzliche Unterstützung aus der Systemischen Beratung und Führung besorgt. Zusätzlich haben wir unsere bisherige Arbeit in virtuelle Formate übersetzt und möchten damit Führungskräften und ihren Teams hilfreiche Unterstützung bieten.

Mein persönliches Fazit

Wir alle vermissen den zwischenmenschlichen Kontakt und Austausch, wenn auch in unterschiedlichem Maße. Wir sehnen uns alle danach, wieder sorgenfrei und unbeschwert an Veranstaltungen und Events teilzunehmen, eine erfüllende Freizeit und bereichernde persönliche Erlebnisse mit Familie und Freunden zu erleben. Bis dahin machen wir einfach das Beste daraus. Und es gibt viel Positives, das Menschen für sich aus diesem erzwungenen „Lockdown“ auf ihre persönliche Guthabenseite ziehen konnten. Das gilt auch für mich, dennoch brauche ich für meine Motivation auch das Büro und die Begegnung mit Menschen. Das sichert mir Austausch, Anregung und Freude. Meine Empfehlung ist nicht ein „entweder-oder“ sondern: Mehr Flexibilität wagen! Da sehe ich die größte Chance für Führungskräfte und ihre Teams.

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